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Warum ich die M8 verachte


Prosper Duprees

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Ich will die digital Fotografierenden, schließlich bin ich selbst gelegentlich einer, nicht mit Liebhabern von Tütensuppen, Tiefkühlfertiggerichten oder sonstigen Instant-Produkten auf eine Stufe stellen, das hieße, die opferungsbereiten Träger des Fortschritts zu verunglimpfen und sich selber moralisch erhöhen zu wollen, aber ich möchte doch darauf hinweisen, dass die gesellschaftliche Infantilisierung mittlerweile das Niveau der Dreijährigen erreicht hat, die nach dem Motto agieren: Ich will alles, hier und jetzt und sofort.

Man kann nicht warten, abwarten, ausharren; Das Verharren in der reinen Dauer empfinden wir als Qual, sei es im Stau, an der Supermarktkasse oder im Wartezimmer.

Tatsächlich kann man die organisationstechnologische Durchdringung sämtlicher Lebensbereiche des Alltags als ein Ausmerzen von Wartezeit begreifen, in der selbst ein Gang zur Toilette, weil dem Arbeitgeber Arbeitszeit entziehend, bei Neubauten sensibler innenarchitektonischer Führung und ergonomischer Begleitung bedarf. Das stille Örtchen muss äußerst funktional gestaltet sein, damit der Schiss zielführend absolviert werden kann und zugleich so hässlich, auf dass keiner darauf ein heimliches Schläfchen halten will.

Sämtliche Lebenswelten, von der Tankstelle über Krankenhäuser, Schulen, Betriebe sowieso, das klassische Beispiel ist McDonalds, bis hin zu Behörden und Bordellen sind für den großen flow, also maximalen Durchsatz zu optimieren: Das Bestellsystem meiner Zahnärztin funktioniert sogar so gut, dass sie gleich drei Patienten gleichzeitig behandelt und ständig zwischen den Behandlungszimmern hin und her rennt, um nötige Verweilpausen, in denen sich der Patient das Blut aus dem Mund spuckt, nicht unproduktiv durch Warten und Beistehen zu vergeuden.

Die digitale Manie schuldet sich in meinen Augen ihren Erfolg nicht in einer zwangsläufig vorteilhafteren Technologie, dies sicherlich auch, sondern hauptsächlich dem Umstand, dass die fotografischen Erzeugnisse der fotografischen Aktivitäten rasant vorliegen und schneller, quasi unmittelbar und resultatoptimiert, verarbeitet werden können. Binnen Sekunden ist jede Banalie online gestellt, jeder private Furz global publiziert und man findet es schick, sich einen blog zu installieren, darin man stündlich glaubt, jeden Arschwisch der geneigten Welt mitteilen zu müssen.

Das alles lässt tief blicken, nämlich in radikal veränderte Konzeptionen von Person, Ich und Selbst, die hier nicht erörtert werden sollen. Statt einem cogito ergo sum heißt es nun: Ich brauche die ganze Welt, um mich zu vergewissern, dass ich bin. Und: Wozu brauche ich Freunde, ich habe doch einen Alias. Und: Ich bin im Netz, also hat es mich gegeben.

Ach, was, höre ich sie reden, ich verstehe kein Wort davon, was soll der Quatsch, digital ist nur eine andere, bessere Art schönere Fotos zu machen.

Genau. So ist es. So reden sie. So denken sie.

Natürlich ist die analoge Dunkelkammer ein zeitfressendes Kuriosum, ein Anachronismus, Relikt der großmütterlichen Zeit, als man noch keine Tütensuppen kannte und noch selber gekocht hat. Freilich versucht man auch hier, Heiland sei Dank, produktionsbeschleunigende Instrumentarien zu integrieren um sich nicht vor Scham dem Zuruf zu krümmen: Jetzt war er fünf Stunden im Keller und hat außer drei kümmerlichen Abzügen nur Probestreifen hervorgebracht! Junge, das mach ich Dir in Nullkommanix am Rechner und besser ausschauen tut es auch!

Ja, so ist es.

Der digitalen Verschwörung ist nicht beizukommen, indem man ihr analog hinterherhechelt.

Das Gemetzel am Analogen ist auch kein Sakrileg, schließlich ist jedes bildgebende Verfahren Ersatz und Verrat. Nicht umsonst bemüht sich jede Kultur dieser Erde, denjenigen, die sich am wenigsten wehren können, Kindern, den eigenen noch dazu, Bilder dessen zu implementieren, woran man selbst schon gescheitert ist. Hauptsache, man selber besetzt das Bewusstsein anderer und nicht andere tun das.

(Fünfjährigen eine Kamera in die Hand zu drücken heißt, sie für Surrogate gewinnen zu wollen. Das Bild der Welt ist nicht die Welt. Einen Papierabzug kann man nicht riechen, fühlen, schmecken, er stinkt nicht, er atmet nicht und ist gänzlich tot. Darin ist kein Spüren und kein eigenes Erleben. Das Bild vom Schlamm ist nicht der Schlamm, darin man sich wälzt. Das reine Bewusstsein ist wie Pornografie, die man dem realen Sex vorzieht, weil aseptisch und damit in reiner Geilheit.)

Also: Wozu sich in der Dunkelkammer quälen und das Augenlicht zerschinden, wenn der PC hierfür viel besser geeignet ist?

Wozu festhalten, was obsolet geworden ist?

Wem sich verweigern, wenn das laute Geschrei ertönt?

Ich weiß es nicht.

Ich hoffe, ich bin nicht verstanden worden.

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Du hast leider recht. In vielen Bereichen der professionellen Fotografie ist Zeit = Geld.

 

Man kann das mitmachen oder aufhören.

 

Deshalb geniesse ich es gelegentlich eine Film zu belichten und zu warten bis er abholbereit ist oder ich ihn selbst entwickelt habe.

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böse, böse, böse...den bogen zur M8 bekomme ich nur bedingt und stehe unter dem eindruck, das dieser text auf beliebig andere fotographische produkte übertragbar ist. die wahrscheinlichkeit ihn so in anderen foren zu finden, halte ich für recht hoch. ansonsten als beobachtung sehr nett, allerdings bleibt ein etwas naiver früher-war-alles-besser geschmack. gruss

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Herr Müller,

wenn ich Jimmy Hendrixs, Electric Ladieland auf meiner analogen Audioanlage höre,

quadral titan und marantz Esoteric JC 1000 und Sony, schmeisse ich alle digitalen

Träger trotz des "analogen" Knackens in den Mülleimer..

Keine Wärme, kein Gefühl, kein Feeling!

Leider gehts mir bis heute bei fast allen digiprints genauso!

Hendrik

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Also, abgesehen, daß ich offensichtlich noch nicht ganz ausgeschlafen bin, um diesen Analog-versus-Digital-Erguss richtig zu würdigen - aber, wenn ich schon, wie üblich Mensch und Maschine verwechselnd, gegen Digital zu Felde zöge, dann fiele mir doch so viel digitaler Schwachsinn mehr ein, als mich ausgerechnet an der M8 schadlos zu halten ... :o

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Ich las den Titel (den Rest tat ich mir schon gar nicht mehr an, weil Zeit ist Geld:)) und dachte mir "Dann kauf' sie halt nicht!"

 

Vielleicht nur so viel, ohne eine M8 wäre es um die Zukunft der filmbasierten Leicas vermutlich nicht allzu rosig bestellt.

 

Andreas

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.....

Binnen Sekunden ist jede Banalie online gestellt, jeder private Furz global publiziert und man findet es schick, sich einen blog zu installieren, darin man stündlich glaubt, jeden Arschwisch der geneigten Welt mitteilen zu müssen.....

 

wie wahr :D

 

Gruß

 

Sebastian

 

P.S. Ob ich jetzt eineinhalb Stunden an einem Bild in der Dunkelkammer bastle oder am Rechner ist doch egal :confused:

P.P.S. Du solltest nicht die M8 verachten (das ist doch nur ein Ding), sondern die, die sie "benutzen" werden :D

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Ein weiters Übel dieser Zeit ist aber auch, dass man sich keine Zeit mehr nimmt oder vielleicht auch gar nicht mehr dazu in der Lage ist über Fragen frei zu philosophieren, die scheinbar sinnlos, nicht aktuell relevant oder vielleicht sogar für das schlichte Leben unnötig sind. Früher hat man mit damit die Beweglichkeit des Geistes geschult und das Vermögen auch mal über den eigenen Tellerrand zu schauen. Anscheinend ist beides heute nicht mehr gefragt.

Früher hat man stundenlang in einem Kreis gesessen um über Gott und die Welt zu diskutieren. Heute wäre sowas alleine deshalb schon unmöglich, weil bei dem einen das Handy läutet und der andere seine emails umgehend beantworten muss. Das größte Problem unserer Zeit ist, dass wir vermeintlich keine mehr haben. Dass wir aber keine haben, weil wir uns keine Zeit nehmen, machen wir uns nicht bewußt.

Im Büro werden wir heute den ganzen Tag mit emails, Faxen, Telefonaten und Schreiben zugeschissen, die umgehend beantwortet werden müssen, obwohl die Inhalte so banal sind, dass vor zwanzig Jahren kein Mensch gewagt hätte für derartigen Schwachsinn auch nur ein Blatt Briefpapier zu vergeuden.

Dann kommen wir aus dem Büro nach Hause, hören als Erstes den Anrufbeantworter ab, schauen ob wir emails bekommen haben und ob sich unsere Auktion auf ebay richtig entwickelt, anstelle wie früher erstmal unsere Frauen zu schnappen um zu zeigen, dass man mehr gemeinsam hat als den Anrufbeantworter.

 

Mit der Digitalisierung begann der Untergang der Kommunikation. Heute unterhält sich die Jugend im SMS Stil, bringt keinen geraden Satz mehr heraus, und selbst in diesem Forum mit erwachsenen Teilnehmern wird sehr häufig nur auf Basis von Symbolen kommuniziert die, damit wir bloß keine Zeit vergeuden als Auswahlliste verfügbar sind. Die alleinige Benutzung der Symbolsprache kann auch durchaus als Ausdruck der Geringschätzung gewertet werden, weil ich damit zum Ausdruck bringe, dass ich meinen "Gesprächs"partner noch nicht einmal für wert befinde ihm auch nur einen kompletten Satz zu widmen. Man stelle sich nur vor, dass man als Vorgesetzer die Arbeit eines Untergebenen nicht sprachlich begründet kritisiert, sondern einfach als Ausdruck der Wertschätzung einen Furz läßt. Wem von uns würde das gefallen? Dass ich mir Zeit für einen anderen Menschen nehme ist auch ein Ausdruck von Höflichkeit.

 

Die Digitalisierung unserer Welt ist Fakt. Die Digitalisierung hat Gutes und Schlechtes gebracht. Alten Zeiten frustriert nachzuweinen ist sinnlos und führt nur zu Magengeschwüren. Aber auch in einer digitalisierten Welt habe ich zumindest in meiner Freizeit die Wahl zu entscheiden ob ich Sklave oder Herr bin.

 

Auch ich fühle mich teilweise durch Prospers meterlange Beiträge gelangweilt oder gar belästigt, vor allem weil ich mir Zeit nehmen muß, wenigstens zu probieren sie zu verstehen. Andererseits ist es erfrischend zu erleben, dass es noch Menschen gibt, die sich mit scheinbar sinnlosen Themen ausdauernd beschäftigen können. Früher galt das Vermögen zu philosophieren sogar mal als Ausdruck von Bildung. Wir diskutieren in diesem Forum mit großer Freude oftmals total schwachsinnige Fragen, da können wir das bischen Prosper auch vertragen, und wem solche Themen nicht passen, der kann den Rechner abschalten, die Füße hochlegen und die gewonnene Zeit nutzen einfach mal nichts zu tun.

 

Gruß

 

Oliver

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Prosper? Hatten wir doch schon mal. Nannte sich damals noch Biron und lieferte uns anläßlich seines virtuellen Hinscheidens einen geradezu epischen Abschiedsgesang...

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Du hast leider recht. In vielen Bereichen der professionellen Fotografie ist Zeit = Geld.

 

Man kann das mitmachen oder aufhören.

 

Deshalb geniesse ich es gelegentlich eine Film zu belichten und zu warten bis er abholbereit ist oder ich ihn selbst entwickelt habe.

 

 

Dies hat nichts mit M8, EOS1DMII oder D2X zu tun, es ist ein Problem unserer Zeit und der Digitalisierung im Allgemeinen,

weshalb ich den Titel von Prosper für falsch und reisserisch halte.

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Ich bin mir nicht sicher, ob das jetzt ironisch gemeint war oder nicht.

Aber für alle die, die sich hier über die Hetze und Charakterlosigkeit der digitalen Welt beschweren eine Frage:

Warum dann ein Forum verwenden? Wäre nicht Briefverkehr auf handgeschöpftes Büttenpapier mit Füller viel Charaktervoller? Odere noch besser regelmäßige persönliche Treffen?

Nur mal so als Denkanreiz

Grüße, Tom

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