ErichF Posted July 11, 2008 Share #21 Posted July 11, 2008 Advertisement (gone after registration) Ein Jahr nach der Erstveröffentlichung bekam ich das Buch in die Finger (ich habe es jetzt noch), als ich zu seinem 18. meinem Ältesten eine Reise dahin spendierte. Ich wollte wissen, was da so los ist... und war entsetzt. Holdt trampte 5 Jahre durch die USA, "low budget"-Reisen, logischerweise in vielen Absteigen und privat übernachtet. Weil seine Leute in Dänemark nicht seinen Briefen Glauben schenkten, schickten sie ihm eine Kamera, um Beweise zu sehen, und er fotografierte drauf los, mit entsprechender Technik. Seit der Zeit habe ich etwas gegen die "Enthüllungsfotografie", trotz romanhafter Begründungen der Fotografen dafür kommt mir das immer wie ein Herumwühlen im Dreck anderer vor. "Ach, was geht es uns doch gut", so kommt einem immer wieder der eigentliche Grund hoch. Bei mehrfachen Indien-Aufenthalten hätte ich auch die Möglichkeiten dazu gehabt, ich habe mich geniert, den Leuten in ihrem Elend zuzuschauen, ich behielt die kleine Rollei 35 in der Tasche. Gruß Erich Link to post Share on other sites More sharing options...
Advertisement Posted July 11, 2008 Posted July 11, 2008 Hi ErichF, Take a look here Jacob Holdt. I'm sure you'll find what you were looking for!
Rona!d Posted July 11, 2008 Share #22 Posted July 11, 2008 Erich, wenn ich das richtig sehe, LEBTE er mit den Menschen dort zusammen. Da muß man das Knipsen differenzierter sehen. Es ist auch ein umgelenkter Spiegel vor´s Gesicht des "reichen" Amerikas gewesen. Ich nehme nicht an, daß Du in Indien monatelang in den Hütten gewohnt hast? Ein fotografischer "Touristen-Blick" in eine ärmliche Hütte ist daher was anderes. DU hattest sicher deutlich mehr Distanz. Link to post Share on other sites More sharing options...
ErichF Posted July 12, 2008 Share #23 Posted July 12, 2008 Sicher, Ronald, meine 3 Reisen nach Indien, zwei davon nur als Abstecher bei Flügen nach Südaustralien, waren im wesentlichen geschäftlich bedingt; aber solche Gelegenheiten läßt man sich auch als Amateur nicht entgehen. Ich hätte in Bombay und Madras einige Abende und Nächte mit der Kamera losziehen können, ich hätte sogar einen Inder als Guide bekommen, aber meine Geschäftspartner rieten mir ab, so etwas zu tun, dabei wollte ich natürlich nicht in die Slums. Holdt ist ja als Baujahr 1947 nicht nur altersmäßig ein "68er", der wie viele seiner Altersgruppe in Amerika und auch bei uns die lustige Flower-Power-LSD-Szene verlassen hatte und sich Anfangs in Dänemark recht aktiv bei krawalligen Demos gegen den Vietnamkrieg beteiligt hat. Und alle Dänen, die keine Scheiben einschmissen, der Mittäterschaft an den toten Vietnamesen bezichtigte. Kein Wunder, daß er eine militante Sozialader entwickelte, er kam ja auch aus einem Pfarrershaushalt. Immerhin ist er kein Terrorist geworden, wie die Pfarrerstochter Gudrun Ensslin, er hat seine "Anklagen" fotografiert. Und wie er auch in seinem Buch schreibt, hat er sich selbst dabei sehr oft mit allem als Person eingebracht, das war ja auch die wilde Zeit nach der Erfindung der Pille und vor dem Ausbruch von AIDS. Im Grunde hat es seine Intimpartner abgelichtet, das, was andere Leute üblicherweise nicht zu sehen bekommen. Ob alle mit den Fotos im Buch einverstanden waren? Immerhin kein Wunder, das die Bilder noch heute schockieren. Man kann sagen, daß er mit dazu beigetragen hat, daß sich die Fotografenzunft zumindest im Westen zunehmend und bis heute von einer dokumentierenden und objektiv berichtenden zu einer anklagenden "betroffenen" Darstellung gemausert hat, nicht immer nur zu ihrem Vorteil. Er selbst entblödet sich im Vorwort nicht zu behaupten, daß es nur deswegen Reiche gäbe, weil es arme Leute gibt. Als ob das mittelalterliche Raubrittertum gegenwärtiges Leben sei. Gruß Erich Link to post Share on other sites More sharing options...
PwoS Posted July 13, 2008 Share #24 Posted July 13, 2008 Er selbst entblödet sich im Vorwort nicht zu behaupten, daß es nur deswegen Reiche gäbe, weil es arme Leute gibt. Als ob das mittelalterliche Raubrittertum gegenwärtiges Leben sei. Erich, so falsch liegt er damit nicht! Da "Arm" und "Reich" keine absoluten, sonder relative Begriffe sind, bedingen sie stets einander. Verglichen mit Wendelin Wiedeking (Porsche Vorstandsvorsitzender mit angeblich 60 Mio. EUR Jahreseinkommen in 2006) ist ein Hartz 4 Empfänger aus Berlin-Neukölln eine arme Sau. Verglichen mit den Straßenkindern von Sao Paolo ist der gleiche Mensch aber unermesslich reich. Außerdem ist der hohe Lebensstandart der westlichen Mittelschicht häufig unmittelbare Folge der Ausbeutung der Arbeiter in den Entwicklungsländern (unfaire Preise für Kaffee, Textilien, Unterhaltungselektronik, Citrusfrüchte etc.). Wir alle sind Zahnräder, Mittäter und Profiteure in diesem System, auch Du und ich. Edit: Deine Entscheidung die Rollei 35 in der Tasche zu lassen, um den Menschen nicht ihre Würde zu nehmen in Ehren. Andererseits verhalten wir uns alle oft nach dem Motto: "Mutter, mach doch bitte die Küchentür zu. Ich kann nicht sehen, wie du dich abschuftest." Link to post Share on other sites More sharing options...
ErichF Posted July 13, 2008 Share #25 Posted July 13, 2008 Man sollte das ganze "Vorwort" seines Buches lesen, er hat dies aus Teilen seiner Briefe an seine Freunde und Verwandten zusammengestellt, im Grund besteht das ganze Buch aus einzelnen z.T. erschreckenden Geschichten mit drastischen Fotos dazu. Und immer wieder von Selbstreflektionen unterbrochen, wie es eben ein Anfang-Dreißiger und "Vagabund", wie er sich selbst nennt, auf seiner Sinnsuche betreibt. Da schreibt er auch, daß man keinesfalls sein Buch alleine als Information über das Schwarze Amerika nehmen dürfe. Es passiert oft, daß der eigentliche Mißbrauch schockierender Informationern nicht von den Schreibern, Fotografen oder Journalisten dieser Infos ausgeht, sondern von dem versteckten Mißbrauch dieser Informationen durch Interessengruppen, Politikern und Parteien zu ihrem allfälligen gegenwärtigen Vorteil. Das mir vorliegende Exemplar von 1978 wird sogar derzeit noch in Amazon angeboten, für die, die sich über den damaligen Holdt informieren wollen. Heute ist er doppelt so alt, da denkt er bestimmt differenzierter. Übrigens, Peter, der Satz, auf den Du Dich berufst, ist die Basis der marxistischen Stamokap-Theorie, einer ihrer Vertreter in der Zeit der Brandt/Schmidt-Aera war Klaus-Uwe Benneter, der Vorgänger Schröders als Juso-Chef und vorübergehend aus der SPD ausgeschlossen. Bei Schröder war er im Kanzleramt an hoher Stelle, jetzt ist er Justitiar der SPD-Fraktion. Was wunder, daß sich die klammheimlichen Marxisten bei uns immer höher schleichen und die Stichworte geben, die bis zu den Gewerkschaftsspitzen (Sommer hat diesen Satz auch ausgesprochen) und dem einfachen Wähler schon Allgemeingut geworden ist, so falsch er essentiell auch ist. Gruß Erich Link to post Share on other sites More sharing options...
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