Jump to content

Man kauft immer das Gesamtpaket


ThomasvonAue

Recommended Posts

Advertisement (gone after registration)

Den kennen Sie schon:

 

Kandidatin Numer eins hat Hochschulabschluss, Kandidatin Nummer zwei fĂĽnf Jahre Auslandserfahrung. Welche, fragt der Berater, sollen wir nehmen?

Die Blonde mit dem groĂźen Hintern, sagt der Chef.

 

Wir lachen. Aber warum? Warum begreifen wir diesen Text als Witz?

Offensichtlich wegen der Diskrepanz von sachgemäßen und sachfremden Leistungsanforderungen und deren falscher Priorisierung.

 

Sagt der Verkäufer im Fotoladen: Möchten Sie Testsiegerkamera Nummer eins oder Testsiegerkamera Nummer zwei oder Testsiegerkamera Nummer drei?

Ich nehm’ die mit dem roten Punkt, sagt der Kunde.

Aber das ist eine analoge Kamera, antwortet der Verkäufer, heute fotografiert man digital.

Egal, sagt der Kunde, die hat so runde Formen, das erinnert mich an meine Ehefrau.

Ich verstehe, sagt der Verkäufer, ich geb’ sie Ihnen zum halben Preis.

 

Im Vulgärkapitalismus westlicher Prägung hat jegliches Ding seine Lebenseintrittschance, solange es sich hübsch telegen zu präsentieren weiß.

Literaturnobelpreisträgerin Doris Lessing etwa beklagt: „In London fragt man beim Auftauchen einer neuen Schriftstellerin nur noch: ‚Wie sind ihre Möpse? Sieht sie gut aus?’“ (SZ, Nr. 283/S.13)

Auch hier haben wir eine vermeintlich sachfremde Attributisierung als Selektionskriterium.

Autorschaft als Zugangsvoraussetzung ist in medial vermittelter Existenz immer begleitet von der Fähigkeit zu bildwirksamer Präsentation. Das Buch liefert das Gut, aber die Verpackung verspricht Öffentlichkeit.

 

Warum also sollte ich nicht, gesamttestsiegerkamerakonträr, ein singuläres Attribut gewichten?

Und ihm AusschlieĂźlichkeit zusprechen?

Eine bloĂźe Rundung meinetwegen. Ein Aufzugshebel. Das satte Klack eines Verschlusses.

 

Im Totalitarismus gleichgeschalteter Punktevergabe erwächst die Tugend, der Summe austarierter Gesamteigenschaften das Singuläre entgegenzustellen, das nicht operationalisierbare, das Messwertlose, das Ungeteilte und Nichtvermittelte. Das Persönliche.

 

Jene, die im fallenden Blatt vor allem aufzulesenden BiomĂĽll erblicken, mit praktischer und sofortiger Hinwendung zu Laubsaugeranschaffungspreisvergleichsseiten, werden nicht verstehen, warum Menschen sich mit analogen und altertĂĽmlich anmutenden Kameraobjekten abgeben.

 

Eine Kamera ist niemals nur eine Kamera. Eine Kamera ist ein Gesamtobjekt.

Und es ist erlaubt, sich aus diesem Gesamten ein Deliziösum herauszupicken.

Und wenn es nur ein roter Punkt ist.

 

 

 

 

Link to post
Share on other sites

In regelmäßigen Abständen werde ich nach meinen Bezugsquellen gefragt.

Deshalb hier nochmal aus dem 4195-Nachtrag-thread mich selber zitierend:

Völlig legal und spottbillig bekommt man das ‚Zeug’ auf dem Münchner Viktualienmarkt. Man muss halt wissen, was man einkaufen soll.

Petersilie etwa, der Bund zu 69 cent, gut trocknen lassen und dann gut gekrĂĽmelt rauchen.

Kommt sanft, aber kommt.

Dem Kraut der Gelben Rübe sagt man ähnliches nach, war ich aber enttäuscht von.

Empfehlenswert ist im Herbst auch ein klassischer Waldspaziergang mit Suche nach unserem Männlein im Walde.

Ich sag das immer meinen Kindern: Leute, ihr seids blöd, wenn ihr in die Beschaffungskriminalität geht oder euch prostituiert für 20 Eu.

 

Zum Erwerb einschlägiger Drogen empfehle ich den Aufenthalt in der Nähe von Essensausgabestellen von Caritas und Diakonie und Notschlafstellen von Abhängigen.

Für 10 Euro Löhnung kommt dort übrigens jeder Fotograf zu fantastischen Junkie-Fotos,

Bilder vom schnellen Sex zwischen MĂĽlltonnen, Bilder vom schnellen Schuss und Bilder von abgewichsten Toiletten mit Geheimversteck von Besteck hinter lockeren FlieĂźen.

Das alles kann man hinterher dem ‚Stern’ verkaufen und hat seine 10 Euro leicht wieder reingeholt. Leider ist das Thema etwas out.

 

Muskatnuss ist auch nicht schlecht, schmeckt aber abscheulich.

Die beste Dröhnung ist immer noch guter xxx und der rote Punkt.

Link to post
Share on other sites

"Im Totalitarismus gleichgeschalteter Punktevergabe erwächst die Tugend, der Summe austarierter Gesamteigenschaften das Singuläre entgegenzustellen, das nicht operationalisierbare, das Messwertlose, das Ungeteilte und Nichtvermittelte. Das Persönliche."

 

Thomas, es muĂź nicht "Messwertlos" heiĂźen sondern die mit Messsucher!

Link to post
Share on other sites

Thomas,

 

ich finde den Text gut.

 

Derletzt hat mich beim Anblick meiner Leicaflex SL jemand gefragt warum ich eine neue Kamera hätte und ob die jetzt bessere Bilder machen würde. Ich habe geantwortet, dass ich das nicht sagen könne, ich würde die Kamera aber einfach mögen. Ich persönlich muß einfach gerne mit meinem "Werkzeug" arbeiten - völlig unabhängig was andere davon halten oder darüber denken. Die Kamera macht natürlich keine besseren Bilder - aber vielleicht macht man selbst damit bessere Bilder.

 

 

GruĂź

Stefan

Link to post
Share on other sites

Den roten Punkt muss man sich nirgendwo hinmalen, der ist schon da.

Haben Sie sich denn nie gefragt, warum Leica einen roten Punkt wählt und diesen ausgerechnet nahezu mittig zwischen den Sucherfenstern platziert, also zwischen den Augen der Kamera?

 

Die Analogie zum Anja-Chakra ist unĂĽbersehbar; jeder, der einmal in Indien war, sieht das sofort.

Dem dritten Auge, Wahrnehmung und Sehen, wird in der Kunst groĂźe Bedeutung zugemessen, man lese nur mal die Antrittsvorlesung von Ruth Tesmar:

http://edoc.hu-berlin.de/humboldt-vl/tesmar-ruth/PDF/Tesmar.pdf

 

Oder Henri Cartier-Bresson: ‚Fotografieren bedeutet den Kopf, das Auge und das Herz auf dieselbe Visierlinie zu bringen.

Es ist eine Art zu leben.’

 

Man höre: Eine Art zu leben!

 

Warum ist immer vom Mythos Leica die Rede? Warum nie vom Mythos Canon?

Es ist ganz einfach: Canon hat keinen Zugang zum oculus imaginationalis.

Leica hat ihn eingebaut.

Ich meine das gar nicht ironisch, sarkastisch oder in Verkennung der brillanten Bilder, die mit einer Canon gemacht worden sind und werden.

 

Man könnte den Niedergang von Leica sogar in Verbindung bringen, mit dem industriell-merkantilen Aufschwung im Nachkriegswesten und der damit einhergehenden Vereinzelung, Isolierung und Entsolidarisierung, was ja nicht nur der Papst in jeder seiner Verlautbarungen beklagt.

 

Leica hat den roten Punkt und dies ist kein Zufall und keine Designmarotte.

In einer entspiritualisierten Gesellschaft wird dies nicht mehr gesehen, das dritte Auge ist komplett zu, alle arbeiten am Wurzelchakra; aber man muss sich mal die Schwärmereien zu Gemüte führen, mit denen der Leica-Neuling diesem Gehäuse huldigt, dem schieren Glück, eine Leica in Händen halten zu dürfen. (Im rangefinderforum finden Sie pausenlos solche Lobhudeleien.)

Man könnte darüber lächeln und die JapanFraktion tut dies ja auch zur Genüge, was soll an einem Gehäuse schon besonderes sein, Blech und Glas und Plastik halt.

Aber warum tun die das? Was provoziert diesen Enthusiasmus? Was ist das Faszinosum?

Warum sparen manche jahrelang, nur um sich eine gebrauchte Leica zulegen zu können?

 

Ich will nicht in billige Esoterik abdriften, aber es ist ein Unterschied, und nicht nur ein bloßer technischer, ob ich eine Kamera am Auge führe, im Kontakt mit Haut und Schädel,

oder mit ausgestrecktem Arm einen MiniMonitor betrachte.

Beim einen sehe ich durch Glas, beim anderen sehe ich ĂĽberhaupt nichts, da wird mir vielmehr etwas gezeigt.

Verstehen Sie bitte, die meisten Menschen bemerken den Unterschied gar nicht, ist doch egal, Bild ist Bild.

Nein, ist es nicht.

 

Es ist alles so grob geworden.

 

Link to post
Share on other sites

Habe den Link nur angelesen, ist ja nicht mal eben durchgelesen- mach ich aber noch, und muß sagen, die Frau hat einen sehr hohen Anspruch an Kunst, was ich gut finde und der dem meinen grundsätzlich nahekommt. Schwer das umzusetzen, noch schwerer, wenn man keine Ahnung hat wovon überhaupt die Rede ist...;)

Und übrigens motiviert mich der Besitz meiner auf Raten gekauften MP auch, mich mit Photographie zu beschäftigen- es macht einfach mehr Spaß und ist sinnlicher(inklusive Dunkelkammer)

GruĂź, Thomas

Link to post
Share on other sites

Habe den Link nur angelesen, ist ja nicht mal eben durchgelesen- mach ich aber noch, und muß sagen, die Frau hat einen sehr hohen Anspruch an Kunst, was ich gut finde und der dem meinen grundsätzlich nahekommt. .......

GruĂź, Thomas

 

...welche Frau?!...:eek: ...ich habe hier (fast) noch nie eine Frau gesehen, oder "gelesen"...ob das Zufall ist?...

 

GrĂĽĂźe,

Jan

Link to post
Share on other sites

...welche Frau?!... ...ich habe hier (fast) noch nie eine Frau gesehen, oder "gelesen"...ob das Zufall ist?...

 

GrĂĽĂźe,

Jan

 

Mann, Telewatt, schau doch mal hin.

lG

Hanno

 

 

Wieso? Wohin sollen wir schauen?

Link to post
Share on other sites

Ich gebe zu, ein solch elitär-verschrobner Text kann eigentlich nur hier präsentiert werden. Man stelle sich vor, so etwas in einem anderen Forum.:D

 

Nimmt man einmal die Möglichkeit der feinen Ironie heraus, dann bleibt: Die Kernaussage mag richtig sein, ob man dazu nun das ganze Schmuckwerk drumrum braucht, ist mehr als fraglich. Schliesslich ist der Hype um das aussergewöhnliche, exklusive und schlicht "andere" nur einer kleinen Minderheit vergönnt, die sich den Luxus einer anderen Meinung gönnen und dafür hohe Preise, und manchmal auch Mühe und Spott auf sich nehmen. Das war aber schon immer so, nur wird in diesem "Vulgär-Kapitalismus" diese Möglichkeit breiteren Schichten eingeräumt, und insbesondere jenen, die nicht jeden Cent umdrehen müssen. Die anderen marschieren nach wie vor im Gleichschritt.

 

Zum roten Punkt: Ich selbst habe erst seit diesem Jahr eine Leica, auch mehr oder weniger aus nostalgischen Gründen. Je mehr man sich mit dieser Firma beschäftigt, um so liebenswerter erscheint sie in ihrer Mischung aus technischer Innovation, Tradition, Leistung und Hilflosigkeit. Man hat schon den Eindruck, dass da Menschen dahinter stehen, nicht durchgestylte Wirtschaftstrukturen. Das macht mir den roten Punkt so interessant. Stimmt, die Kamera ist ein Gesamtobjekt, im Falle einer Leica ein besonders leckeres. Aber der rote Punkt an sich ist da nur ein kleinster Teil davon.

Link to post
Share on other sites

Guest leicajb

Weil es hier so schön passt -

 

die Worte zum Montag:

 

Achte auf deine Gedanken, denn sie werden Worte.

Achte auf deine Worte, denn sie werden Handlungen.

Achte auf deine Handlungen, denn sie werden Gewohnheiten.

Achte auf deine Gewohnheiten, denn sie charakterisieren dich.

Achte auf deinen Charakter, denn er bestimmt dein Leben.

 

Frohes Schaffen!

Link to post
Share on other sites

Archived

This topic is now archived and is closed to further replies.

  • Recently Browsing   0 members

    • No registered users viewing this page.
Ă—
Ă—
  • Create New...